Delfine in Taiji, Japan

von firmm Team

Augenzeugenbericht von Sonja Graesslin, Kursteilnehmerin von firmm; Robin und Matthew

Liebe Katharina,

Ich schreibe dir auf englisch weil es mir leichter von der Hand geht. Matthew, Robin und ich waren vor 2 Sommer bei euch als “Studis”. Ich denkes du erinnerst dich, denn wir haben uns in der Schweiz beim alljährlichen Firmm Treffen in Aarau wieder gesehen.

Heute sitzen wir am Rand der Bucht, in dem Städtchen Taiji, Japan. Als wir herkamen haben wir die Bucht sofort wieder erkannt – es ist die Szene aus dem Film „The Cove“. Die Delfin Jagtsaison hat vor 3 Wochen begonnen.

Es ist 05.30 früh morgens, 23. September 2010, 05.30 Uhr

Vier Motorboote mit ca. 40-50 Mann Besatzung fahren zu den gefangenen Delfinen in die Bucht hinaus. Japanische Fischer haben sie gestern ungefähr um 07.00h morgens in die Bucht getrieben. Polizisten bewachen die Küste. Das gibt wenigstens ein sicheres Gefühl. Wir haben uns Scott West von “Sea Shepherds” und seiner Tochter Elora angeschlossen, die seit einer Woche vor Ort sind. Das ist gut.

Die jährliche Wanderung der Delfine hat eben erst begonnen. 13 Boote, vor allem die, welche die „richtigen Geräusche“ erzeugen, bringen die Tiere von ihrer Wanderroute ab und leiten sie in die Bucht bei Taiji.
Als kulturellen Brauch bezeichnen es die Japaner, als 400 Jahre alte Tradition. Immer schon hätten die Fischer Delfine in „die Bucht“ getrieben und sie getötet. Die Delfine seien ihre Feinde, weil sie “ihren” Fisch essen.

Heute schwimmen ca. 20 Große Tümmler in der Bucht. Wir hören sie atmen und mit den Flossen schlagen. Sie sind müde, hungrig und vermutlich gestresst. Seit mindestens 24 Std. befinden sie sich in der Bucht. Hinter den Felsen erkennen wir Blitze in den Wolken, aber noch hält sich das Wetter.

05.46 Uhr: Das am nächsten gelegene Netz wird zur Einbuchtung gezogen, die Delfine werden in den vom Ufer nicht sichtbaren Bereich getrieben. Zu beiden Seiten der Einbuchtung ist das Netz gut an den Felsen befestigt. Wir können nicht erkennen, was in der Einbuchtung vorgeht, die öffentliche Straße ist gesperrt. Auch der Fußweg ist verbarrikadiert. Würden wir ihm folgen, hätten wir gute Sicht in die Einbuchtung, aber das ist uns verwehrt. Ganz klar ein Ort den wir nicht sehen sollen!

05.50 Uhr: Verborgen vor unseren Augen beginnen die Japaner mit der Selektion der Delfine. Wir können das Japanische Team nicht sehen, aber wir hören gegen die Boote schlagende Geräusche.

06.00 Uhr: Lautes Rufen, mehr schlagende Geräusche gegen die Boote. Die Delfine müssen schreckliche Angst ausstehen. Boote fahren hin und her. Die Motoren sind laut.

Es ist kaum auszuhalten, die Gedanken jagen in unseren Köpfen. Warum springen die Delfine nicht über die Netze hinaus ins Freie, schließlich fahren Boote auch einfach über die Netze? Warum springen sie nicht hinüber und flüchten?

06.20 Uhr: Die Sonne geht auf. Das erste Boot verlässt die Einbuchtung mit einem jungen Delfinweibchen in einer Trage.

06.24 Uhr: Das zweite Boot entfernt sich mit einem zweiten Delfin in Richtung Gehege neben dem Schlachthof im Dorf Taiji. Ein drittes Boot fährt ab. Mindestens 8 bis 10 Delfine werden in die Bucht zurückgetrieben. Vielleicht Männchen, vielleicht vernarbt oder zu alt – einfach nicht Delfinarium-adäquat … was die Welt sehen will, sind junge Tümmlerweibchen vom Typ „Flipper“ aus der Fernsehserie…

Ein Trost ist es, die „unpassenden“ Delfine wenigstens wieder in der Bucht zu sehen. Es scheint, als ob sie heute nicht getötet werden. Später werden die Fischer sie weit weg von der Küste ins offene Meer hinaus “geleiten”. Vor zwei Tagen mussten wir mit ansehen, wie die „unpassenden“ Delfine gnadenlos getötet wurden! Wir haben Beweise dafür!

06.59 Uhr: Der vierte Delfin wird in einer Trage aus der Bucht abtransportiert.

07.06 Uhr: Der fünfte Delfin verlässt die Einbuchtung, in einer Trage eng am Boot befestigt.

Die Sonne verschwindet hinter den Wolken, weit entfernt hören wir Donner, Regen kündigt sich an. Hoffentlich kommt Sturm auf, damit die Fischer nicht ausfahren können. Aber das wäre nur heute, ein Tag in einer endlosen, 6 Monate dauernden Fangsaison. Wir haben erfahren, dass im vergangenen Jahr ca. 23.000 Delfine getötet wurden.

07.18 Uhr: Der sechste Delfin wird weggebracht.

07.36 Uhr: Delfin Nr. 7 folgt.

07.40 Uhr: Heftiger Regen setzt ein, der Donner kommt näher. Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, ist der Sturm bald in der Bucht…

Offensichtlich sind nur ca. 30 Fischer an diesem Brauch beteiligt. Die „Delfintrainer“ sind so zahlreich, sie können nicht alle aus Taiji stammen. Vielleicht reisen sie aus anderen Landesteilen an? Es ist nicht klar.

07.54 Uhr: Der Regen lässt nach. Sieben Männer in Tauchanzügen schwimmen zu ihrem Boot zurück, lachend und rufend. Zurück im Boot hantieren sie mit den Netzen.

07.55 Uhr: Delfin Nr. 8 wird abtransportiert.

07.57 Uhr: Das Boot mit den Trainern verschwindet aus der Einbuchtung und fährt ans Ufer. Ihr Job ist erledigt … für heute.

08.07 Uhr: Ein Boot mit Fischern entfernt das Netz, mit dem die Einbuchtung abgesperrt war. Etwa 12 Große Tümmler schwimmen umher, bleiben ganz dicht beieinander.

08.11 Uhr: Das zum Ufer nächstgelegene Netz wird eingebracht. Es regnet immer noch. Die Fischer schwatzen und lachen.

08.18 Uhr: Vier Boote warten in der Bucht.

08.30 Uhr: Ein Boot verlässt das Gebiet, ein anderes begibt sich zum letzten Netz und zieht es aus dem Wasser. Einige der übrig gebliebenen Delfine sind frei!

08.36 Uhr: Zwei größere Boote treffen ein. Die Delfine werden hinaus ins Meer geleitet. Fünf Schrottkähne, wie Scott sie nennt, erscheinen, um beim Hinaustreiben der Delfine zu helfen.

08.42 Uhr: Insgesamt sieben Boote treiben die Delfine hinaus. Die Absperrungen werden entfernt, Strand und Hafen sind wieder zugänglich. Die Wachmänner ziehen sich zurück, die Fischer verlassen die Bucht.

08.44 Uhr: Der Tag kann beginnen.

Was lief heute falsch? 8 von 20 gefangenen Delfinen wurden abgeführt, um weltweit das Bedürfnis der Touristen nach springenden, lächelnden Delfinen zu erfüllen. Millionen Touristen besuchen Delfinarien und sind glücklich dabei. Es ist wunderschön, Delfine zu beobachten … einfach nicht in Gefangenschaft!!! Denken wir!

Der „Handelspreis“ eines toten Delfins beträgt rund 600 U$. Ein lebendes Tier wird für rund 150.000 U$ verkauft. Jährlich werden 23.000 Delfine zu 600 U$ getötet, man rechne…

Drei Stunden sind seit unserer Ankunft heute Morgen vergangen. Jemand hat in dieser Zeit über eine Million Dollar verdient. Sprechen wir hier wirklich über japanische Kultur?

Katharina, wir brauchen wirklich mehr Leute hier. Wir werden ebenfalls an WWF und Greenpeace schreiben. Bitte verbreite diese Botschaft in deinen Kanälen. Das darf so nicht weitergehen!

Falls du die Möglichkeit hast, bitte komm nach Taiji! Werde Zeuge von dem was hier geschieht oder schick soviele Menschen wie nur möglich. Wir glauben, dass die Delfine wenigstens wieder frei gelassen und nicht getötet werden, wenn die Zuschauerzahl und der Widerstand groß genug ist. Die Welt muss wissen, was hier vorgeht, damit es ein Ende findet! Ich bin gespannt auf deine Reaktion

Grüße Sonja

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